Smartphone, der heiße Draht nach Hause

Quelle DIE WELT 24.10.2015 Von Ileana Grabitz und Annelie Naumann

 

Für Flüchtlinge sind ihre Smartphones überlebenswichtig. Was schreiben sie in die Heimat?

Als Ahmad Alahmad sieht, dass sein Smartphone Kontakt zum Internet hat, fängt er gleich an, auf der Tastatur zu tippen. 

"Ich vermisse Dich", schreibt der 25-jährige Syrer per Whatsapp-Nachricht an seinen Bruder. "Bin in Deutschland. Hier möchte ich bleiben." "Ja, wenn Du Dir da sicher bist?", textet sein Bruder zurück. "Ich habe in Deutschland die beste Zukunft", lautet die Antwort von Ahmad. "Möge Allah Dich beschützen."

 

Whatsapp, Facebook & Co – auf der Flucht sind die sozialen Netzwerke überlebensnotwendige Begleiter, über die sich die Flüchtlinge von Ort zu Ort hangeln, Kontakt mit Schleppern aufnehmen und wichtige Informationen zu Anlaufstellen, Preisen und Schmiergeldern einsammeln. Einmal angekommen am Ziel, wird das Smartphone vor allem eines: das Band zu den Leuten, die man zurückgelassen hat. Was aber sind die Botschaften, die die Syrer, Afghanen und Afrikaner nach Hause zurücksenden? Welche Eindrücke aus der neuen Heimat, welches Bild von Deutschland transportieren sie? Was erfährt man, wenn man in Notunterkünften und Wohnheimen unterwegs ist und Flüchtlinge bittet, Einblick in ihre Whatsapp-Kommunikation zu geben?

 

Ahmad ist erst vor ein paar Tagen in Deutschland gelandet; drei Wochen hat er gebraucht, um sich von seiner Heimatstadt in Syrien durchzuschlagen; 3000 Dollar hat er den Schleppern bezahlt. Nun lebt er mit rund 550 weiteren Flüchtlingen in einer Notunterkunft in Oberursel, einer kleinen Stadt nahe Frankfurt. In der Turnhalle stehen Feldbetten in langen Reihen.

 

Mit schwarzen Planen verhängte Bauzäune schirmen die Schlafstätten der bunt zusammengewürfelten Menschen notdürftig ab. Unwirtlich ist es hier, draußen regnet es.

Ahmad friert in seiner leichten Sommerjacke. "Man hat mich hier gut aufgenommen", meldet er dennoch zurück an die Heimat. "Die Menschen hier tun alles, was mir die Leute in Afghanistan nicht gegeben haben", schreibt er. "Man versucht wirklich alles, um uns zu helfen."

 

Wohl jeder, der es hier nach Deutschland geschafft hat, hat viel erlebt auf der Flucht, hat um sein Leben gebangt, viele Leute getroffen, allerlei Neues gesehen. Trotzdem sind es in der Regel keine epischen Berichte, eher kurze, rein praktische Botschaften, die die Flüchtlinge nach Hause senden. "Mir geht es gut", schreibt ein junger Iraner seiner Schwester.

 

"Ich bin jetzt in einem Ort nahe Frankfurt. Weiß noch nicht, wie es weitergeht." Oder man schickt Fotos, um den Lieben daheim das neue Leben näherzubringen. Wie der 17-jährige Junge aus dem syrischen Kobani etwa, der seit fünf Monaten in Berlin auf seine Anerkennung wartet und dessen Mutter noch immer in der Türkei festsitzt. Mit Bildern von seinem ersten selbst gekochten Essen (Rührei), seinen neuen Turnschuhen und von sich selbst vorm Brandenburger Tor versucht er, die Mutter an seinen Erfahrungen in der Fremde teilhaben zu lassen. Und ihr auf diese Weise zu kommunizieren: Mach dir keine Sorgen, es geht mir gut.

 

Auch ein 22-Jähriger Iraner, der sein Handy im Mittelmeer verlor und sich gerade mit seinem letzten Geld ein neues Smartphone geleistet hat, schickt vor allem Fotobotschaften nach Hause: etwa ein Bild eines komplett mit Efeu berankten Hauses in der Innenstadt von Oberursel. Eines roten Porsches in einer mit vielen Bäumen gesäumten Seitenstraße. Oder ein Foto, geknipst aus dem Bus, der ihn von der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen zur Notunterkunft brachte, auf die dreispurige Autobahn.

 

Virtuelle Ansichtskarten sind es, die die Flüchtlinge qua Facebook oder Whatsapp nach Hause schicken. Neugier spricht aus ihnen, viel Hoffnung wird zurückgespiegelt, oft auch Dankbarkeit, dass Deutschland die Schutzsuchenden bei den ersten Schritten im neuen Leben so gut es geht unterstützt. "Natürlich habe ich Heimweh", sagt ein Mittzwanziger aus Syrien in brüchigem Englisch und zeigt auf sein Herz. Natürlich gehe es ihm oft gar nicht gut so weit weg von der Familie. Doch diese Empfindungen, sagt er, behält er für sich. "Ich bin doch in Sicherheit. Hier ist kein Krieg. Es geht mir viel besser als ihnen."

 

Mohammed ging es ganz ähnlich, als er ankam. Vor drei Jahren floh der 28-Jährige aus Afghanistan, um im fernen Europa ein neues Leben ohne politische Repressionen anzufangen. Seither haust er mit 220 weiteren Flüchtlingen in einem dreckigen Wohncontainer ein paar Meter von der Notunterkunft in Oberursel entfernt. "Ich hatte viel Hoffnung, als ich kam", sagt er. Hunderte SMS habe er nach Hause geschickt: "Kommt auch nach Deutschland, hier werden die Menschenrechte geachtet."

 

Seither wartet Mohammed auf seine Papiere, teilt sich ein Bett mit Wanzen und Kakerlaken, ist zur Untätigkeit gezwungen. Bleibt, wo ihr seid, schreibe er heute. "Wenn ich es noch einmal entscheiden könnte: Ich würde nie wieder fliehen."