
on Thomas Wolff
INTERVIEW -Der syrische Erzähler Rafik Schami spricht im Interview über die Versäumnisse der
deutschen Politiker.
ECHO: Herr Schami, Sie haben Jahrzehnte von einem Besuch in Ihrem Heimatland Syrien geträumt, jetzt kommt das Land zu Ihnen, zu Hunderttausenden. Was brauchen die Flüchtlinge im Moment am Dringendsten?
Rafik Schami: Respekt und Schutz. Alles andere ist sekundär.Schami: "Schams" hilft Flüchtlingen in den umliegenden Ländern, also der Türkei, Libanon und Jordanien. Wir versuchen durch Benefiz-Veranstaltungen und Spenden den Kindern dort zu helfen. Denn Kinder und Jugendliche sind die größten Verlierer eines jeden Krieges. Und wir wollen verhindern, dass die Islamisten das Elend der Kinder missbrauchen.
ECHO: Helfen fällt manchem hierzulande offenbar schwer: Viele Privatleute helfen den Flüchtlingen an Bahnhöfen, in den provisorischen Heimen und Turnhallen; die deutschen Politiker, die erst die Arme ausgebreitet hatten, haben wieder scharfe Grenzkontrollen eingeführt. Wie denken Sie darüber?
Schami: Im Vergleich zur deutschen Bevölkerung zeigen die Politiker ein miserables Bild. Die EU ist gespalten. Und die politischen Debatten sind dermaßen primitiv, dass man sich schämen muss, solche Politiker gewählt zu haben. Schwachsinnige Begriffe wie "Willkommenkultur" benebeln das Bewusstsein, als würden die Flüchtlinge aus dem Meer kommen und nicht aus Syrien, dessen Regime bis heute beste Beziehung zu europäischen Regierungen samt ihren Geheimdiensten unterhält. Solange solche Heuchelei Politik genannt wird, werden Flüchtlinge kommen.
ECHO: Sie hatten sich aus Frustration über die Politik lange aus der öffentlichen Syrien-Diskussion abgemeldet. Was haben die Westeuropäer aus Ihrer Sicht bisher falsch gemacht?
Schami: Sie haben viel zu viel gelogen und nur das, was man an Skandalen aufdeckte, für kurze Zeit zugegeben und dann ad acta gelegt.
ECHO: An welche Skandale denken Sie?
Schami: Da fällt mir vieles ein: die Giftgasproduktion, die Zusammenarbeit der G
eheimdienste, die Lieferung von Spionagetechniken, mit denen das Regime die Opposition zerschlägt. Die Weigerung, die Aufnahmeländer großzügig zu unterstützen. Seit Jahren mahne ich und höre ich nur das Echo meiner Stimme, als wären die Politiker eine Mauer. Nichts ist passiert. Hätten sie das getan, wären nur wenige Flüchtlinge hierhergekommen. Es verlässt doch niemand gern freiwillig seine vertraute Atmosphäre und geht in eine völlig fremde Kultur.
ECHO: Was raten Sie denen, die hier bleiben wollen?
Schami: So schnell und so gründlich wie möglich Deutsch zu lernen und Respekt gegenüber den Gesetzen, Sitten und Kultur des Gastlandes zu zeigen, der sie großzügig aufgenommen hat. Und sie müssen sich auch Gedanken machen über die Fehler unserer arabischen Kultur, die sie zu Flüchtlingen machte.
ECHO: Erinnern Sie sich noch, welchen Eindruck die Deutschen auf Sie selbst gemacht haben, als Sie 1971 aus Syrien flohen und in Heidelberg ankamen?
Schami: Mich hat die Unwissenheit der Deutschen erschreckt. Ich kam mit der Illusion, in das Land der Dichter und Philosophen einzureisen, aber viele wussten damals nicht einmal wo Syrien liegt, geschweige denn hatten sie eine Ahnung von unserer Kultur oder unseren Denkern. Was mich fasziniert hat, war die Zuverlässigkeit der Deutschen.
ECHO: Wann haben Sie in der neuen Heimat mit dem Schreiben und Erzählen von Geschichten begonnen?
Schami: Ein Viertel meines Koffers war voll mit Manuskripten und Heften. Der Zollbeamte amüsierte sich, als ich ihm sagte, das sei mein Schatz. Ich musste aber erst verstummen, weil ich die deutsche Sprache lernte und wie ein Kind meine Umgebung auch poetisch ertasten musste, die Worte schmecken lernte. Nach und nach begann ich, meine Erzählungen und Märchen zu übersetzen. Mich faszinierte immer schon der Zauber einer gut erzählten Geschichte. Ich wollte diese Kunst des mündlichen Erzählens retten. Das treibt mich bis heute noch an.
ECHO: In diesen Geschichten erzählen Sie immer wieder detailliert über Damaskus, seine Gassen und Plätze; auch im neuen Roman "Sophia" wird man als Leser so eingestimmt - gibt es dieses Damaskus noch?
Schami: Nein, aber umso mehr muss man es besingen, um das menschliche Antlitz der Stadt in Erinnerung zu halten. Erzählen ist immer eine gute Methode, dem Vergessen entgegenzuwirken.
ECHO: Lebt ein Teil Ihrer Familie dort noch?
Schami: Ja, meine Geschwister und ihre Familien leben dort. Sie leben natürlich in Angst aber sie wollen Damaskus nicht verlassen. Durch Freunde kann ich ihnen finanzielle Unterstützung zukommen lassen, so dass sie nicht auch noch materiell leiden.
ECHO: Wäre es trotz des Bürgerkrieges denkbar, dass Sie die Familie besuchen könnten? Eine offizielle Einladung hat ja schon gegeben ...
Schami: Diese spezielle Einladung war eine Art Bestechung meiner Eitelkeit. Nach jahrzehntlanger Bekämpfung wollte die Regierung nun erkannt haben, dass ich der weltweit bekannteste syrische Schriftsteller sei. Bald aber habe ich entdeckt, dass sie mich nur ausnützen wollen, um ihren Ruf zu bessern. Ich lehnte ab. Solange die Unsicherheit herrscht werde ich nicht nach Syrien reisen.