Migranten aus Südeuropa

Quelle: SPIEGELONLINEe 5.8.2015 Peter Maxwill

 

Die Irrtümer in der Debatte über Balkan-Flüchtlinge

 

In der Debatte über Flüchtlinge vom Balkan gehen viele Argumente an der Realität vorbei. Die These vom "Asylmissbrauch" ist nachweislich Unsinn, viele europäische Staaten nehmen viel mehr Asylbewerber aus der Region auf. Zudem könnten wohl etliche Migranten aus Serbien oder Mazedonien ganz legal auch ohne Asylantrag nach Deutschland kommen. 

 

Die Asylbewerberheime sind mehr als voll belegt, manche Länder erwägen regelrechte Abschiebecamps: Deutschland tut sich mit der Flüchtlingskrise schwer. Eines der zentralen Themen in der politischen Debatte darüber ist der Balkan. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge waren unter den etwa 190.000 Asylanträgen in der ersten Jahreshälfte rund 78.000 von Immigranten aus Staaten des Westbalkans - also aus Serbien, Albanien, Mazedonien und dem Kosovo. 


Inzwischen wird darüber nachgedacht, die Abschiebung dieser Asylbewerber per Gesetz zu beschleunigen - denn der Westbalkan ist angeblich eine sichere Herkunftsregion, und die Uno wirft den Flüchtlingen von dort sogar eine "Blockade des Asylsystems" vor. Doch ganz so einfach ist es nicht. Die größten Irrtümer im Fakten-Check:


"Vom Balkan flüchten keine politisch Verfolgten"


Der Begriff "politisch verfolgt" ist dehnbar und wird je nach Staat unterschiedlich ausgelegt. Besonders deutlich zeigt sich das am Beispiel der Sinti und Roma, die einen Großteil der Flüchtlinge vom Balkan ausmachen: In Frankreich sind sie regelmäßig Diskriminierung ausgesetzt, in Ungarn ist der rassistische Hass ebenso offenkundig wie in Bulgarien und auf dem gesamten Balkan, in Italien hetzten sogar einflussreiche Oppositionspolitiker gegen sie.

Kein Wunder also, dass neben Kriegsflüchtlingen auch Tausende Sinti und Roma nach Mitteleuropa kommen wollen. Nach Angaben des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma verlassen viele von ihnen ihre Heimat notgedrungen und gegen ihren Willen. Würden sie nicht diskriminiert, würden sie wohl bleiben. Wie sie schließlich aufgenommen werden, hängt dabei vom Land ab, in dem ihre Flucht endet: Frankreich etwa erkennt laut "Süddeutscher Zeitung" Sinti und Roma als "gruppenspezifisch Verfolgte" an - Deutschland nicht.

Viele Menschen vom Balkan betreiben Asylmissbrauch"

 

Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erhalten Asylbewerber vom Balkan äußerst selten den Asylstatus: Die Anerkennungsquote schwankt demnach zwischen 0,3 Prozent (Serbien) und 2,6 Prozent (Albanien). Zum Vergleich: Bei Asylbewerbern aus Syrien und Eritrea liegt die Quote bei nahezu 100 Prozent. Es könnten also nur sehr wenige Balkan-Flüchtlinge das Asylrecht "missbrauchen".

 

Die Behauptung vom "Asylmissbrauch" zielt jedoch auf etwas anderes: den Asylantrag überhaupt zu stellen. Dabei hat in Deutschland jeder Ausländer das im Grundgesetz verankerte Recht dazu - unabhängig von der Wahrscheinlichkeit einer Anerkennung. Der Vorwurf ist also absurd. Schließlich würde wohl auch niemand einem Studenten "Bafög-Missbrauch" vorwerfen, sollte dieser trotz geringer Erfolgsaussichten Ausbildungsförderung beantragen.

 

Asylbewerber vom Balkan haben kein Recht auf Asyl

 

Deutschland lehnt die Asylanträge fast aller Flüchtlinge aus Albanien und den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens ab - das bedeutet aber nicht, dass diese Menschen grundsätzlich kein Recht auf Asyl haben. Andere europäische Staaten nehmen sehr viele Flüchtlinge aus dieser Region auf, da dort das wirtschaftliche Elend in Albanien, der drohende Bürgerkrieg in Mazedonien oder die Konflikte im Kosovo durchaus als Asylgrund anerkannt werden. 

 

Entsprechend unterschiedlich fallen laut "Pro Asyl" die Aufnahmezahlen aus: 2014 erhielten rund 37 Prozent der Antragsteller aus Serbien Asyl in der Schweiz, Finnland gewährte 43 Prozent der kosovarischen Flüchtlinge Schutz. Frankreich und Belgien erkannten jeden fünften Schutzsuchenden aus Bosnien und Herzegowina als asylberechtigt an, Großbritannien stufte 18 Prozent der albanischen Asylsuchenden als schutzbedürftig ein.

 

In Deutschland kursiert hingegen die Idee, sämtliche Länder des Balkans zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären - das würde eine rasche Abschiebung von Asylbewerbern aus dieser Region ermöglichen (Mehr über das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten lesen Sie hier). Damit wäre zwar eine politisch und rechtlich eindeutige Lösung gefunden - das eigentliche Problem ist jedoch sehr viel komplexer, wie der Rechtswissenschaftler Hendrik Cremer schreibt: "Staaten, von denen man sagen könnte, sie seien grundsätzlich 'sicher', gibt es nicht."

 

"Flüchtlinge vom Balkan sind für den Staat sehr teuer"

 

Asylbewerber erhalten in Deutschland ein monatliches Taschengeld von 143 Euro. Einige Politiker vermuten, dass Menschen vom Balkan nur in die Bundesrepublik kommen, um dieses Geld mit nach Hause zu nehmen. Solche Menschen gibt es offenbar tatsächlich, die meisten Flüchtlinge wollen jedoch offenkundig hierbleiben - und bringen großes Potenzial mit: Viele sind jung, motiviert und solide ausgebildet. Dem IAB zufolge sind die Deutsch- und Englischkenntnisse bei Flüchtlingen aus Krisenregionen wie Syrien oft schlecht, wohingegen Asylbewerber vom Westbalkan überdurchschnittlich häufig gutes Deutsch beherrschen.

 

Viele der Einwanderer könnten zudem legal nach Deutschland kommen, ohne Flucht und Schlepperkosten. Denn die Arbeitsagenturen suchen Zuwanderer für sogenannte Mangelberufe, und die Liste ist lang: Nachtwächter werden ebenso gesucht wie Klempner und Krankenpfleger. Wer in seiner Heimat solch einen Beruf erlernt hat, kann ganz in Ruhe von Belgrad oder Pristina aus prüfen lassen, ob seine Ausbildung auch in Köln und Berlin anerkannt wird.

 

Eine ernsthafte Belastung wäre der Großteil dieser Einwanderer für den deutschen Arbeitsmarkt wohl kaum, wie das IAB schreibt: "Die Beschäftigungsquoten der in Deutschland lebenden Bevölkerung aus den Ländern des Westbalkans sind sehr viel höher und die Arbeitslosenquoten geringer als bei der Bevölkerung aus den Krisenstaaten."